Competence based opinion forming
Competence based opinion forming
„Die häufigste Ursache für Unzufriedenheit in Teams mit ihrer Führungskraft sind laut einer Studie nicht getroffene Entscheidungen, sondern die Herleitung dieser Entscheidungen.“
Das war die Botschaft einer Studie, die ich vor Jahren über das Thema Führung in Unternehmen lesen durfte und die über Jahre bei mir „hängen blieb“. Die Studie rief ein klares Kopfnicken bei mir hervor, damals noch in meiner Rolle als junge angestellte Führungskraft, die damals häufig das Gefühl hatte, nicht gehört zu werden, oder wenn doch gehört, meine Handlungsempfehlungen von der Geschäftsführung nicht gefolgt wurde.
Und heute, wenn ich Workshops zwischen Führungskräften und Mitarbeitern facilitate, erkenne ich es in den Gesichtern, den Verhaltensweisen und oft auch in den Gesprächen in den Kaffeeküchen. Es deutet vieles darauf hin, dass auch hier das Nichtgehörtwerden bzw. Entscheidungen, die nicht plausibilisiert werden, nach wie vor und in nahezu allen Teams Thema sind.
Doch letztlich brauche ich oftmals gar nicht so weit zu blicken. Auch im eigenen Team nehme ich Ähnliches wahr. Meine Entscheidungen bzw. mein Meinungsbildungsprozess scheinen manchmal nicht transparent genug zu sein.
Scheinbar wird das Gefühl von 'nicht gehört' oder 'nicht gewürdigt' der Teamkollegen besonders verstärkt, wenn eine Entscheidung anders getroffen wird, nachdem zuvor nach ihrer Meinung gefragt wurde.
Während die sozialen und psychologischen Ansätze noch und nöcher Erklärungen dazu bieten eben, warum Menschen nach Meinungen fragen, sind es bei mir vor allem zwei Aspekte:
- Informations- und Wissensgewinnung: Es interessiert mich, welche Gedanken und Erfahrungen Menschen gemacht haben (vor allem praktische Erfahrungen), um neue Perspektiven und Ideen weiter zu denken zu gewinnen
- Dem Recht auf Mitgestaltung: Ich glaube fest daran, dass Zufriedenheit vor allem auch aus dem Recht zur Mitgestaltung speist [2]
Offene Fragen sind schnell gestellt, aber leider ist der Umgang mit den Antworten für jede Führungskraft eine echte Herausforderung. Abhängig von der Persönlichkeit und den Kontexten ist die Spannweite der Reaktionen enorm. Auf der emotionalen Ebene können gar einige stark negative Gefühle wie Enttäuschung und Frustration entstehen, während auf der Handlungsebene ein Rückzug aus der Situation, im Extremfall sogar die innere Kündigung, erfolgen kann.
Wobei es natürlich die volle Klaviatur gibt. Bei mir und auch anderen, die ich begleiten durfte, hat es in manchen Kontexten eher zur Selbstreflexion und Anpassung der Kommunikationsstrategie geführt.
Das spiegelt sich auch im agilen Arbeiten wider, oder vielleicht besonders dort? Agile Teams [3] werden von lateralen Führungskräften geführt, die sich oftmals auch dem Prinzip „partizipativ“ verbunden fühlen. So werden von guten Product Owners und Business Leads Entscheidungen fast schon am Fließband partizipativ getroffen.
Meine Antwort ist nun das Modell der „Kompetenzbasierten Meinungsbildung“ oder „Competence based opinion forming“.
Ziel:
- Für Teammitglieder vorhandene Kompetenzen im Team transparent machen
- Für Teammitglieder transparent machen, wie sich das Meinungsbild, also die Grundlage für die Entscheidung der Führungskraft, gebildet hat.
- Für die Führungskraft weniger Erwartungsmanagement nach einer offenen Frage bzw. Einladung der Teammitglieder zur Mitgestaltung
- Für die Führungskraft eine qualifizierte Grundlage für den eigenen Meinungsbildungsprozess schaffen.
Ablauf:
- Erläuterung: Die Führungskraft erläutert kurz das Konzept und den Wunsch die Teammitglieder bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen und deren Meinung und Gedanken zu einer qualifizierteren Entscheidung führen sollen.
- Erste Selbsteinschätzung: Geankert wird das vom mutigen Ersten, der mit einer kurzen Herleitung die nur in diesem Kontext gültige Skalierung ankert. Er kann sie gerne mit praktischer oder theoretischer Erfahrung und Ereignissen belegen.
- Selbsteinschätzung der Teammitglieder: Orientiert an der ersten Kompetenzeinschätzung des ersten Teammitglieds orientieren sich die restlichen Teammitglieder an diesem/dieser. In bis zu vier Stufen bewerten dieses mit oder ohne kommentierung sich selbst auf der Skala von K1= niedrig, bis K4 = sehr hoch
- Meinungen äußern: Frank und frei Gedanken und Meinungen ausgetauscht und zum Ende oder Anfang der Meinungsäußerung das K-Level mitangegeben.
- Umgang mit den Meinungen: Ähnlich wie bei der goldenen Regel des Feedbacks („Feedback ist wie ein Sushiband.“ „Du entscheidest, welches Häppchen du dir nimmst“, bekommt die Führungskraft so Zugang zu einem Pool aus Meinungen aus dem Team. Diese zu bewerten und letztlich die Entscheidung zu treffen obliegt ihm.
- Entscheidungsfindung bei der Führungskraft: Diese Meinungen abzuwägen, zu bewerten und letztlich die Entscheidungen abzuleiten obliegt ihm.
- Abhängig von der Komplexität und der Entscheidungsgeschwindigkeit der Führungskraft empfehelen wir dann eine schnelle Entscheidung im Event oder einem „Danke, das nehme ich so mit“ geschlossen und eine sensibles Abwiegen der Optionen und eine spätere Entscheidungsfindung.
Und zack haben wir einen transparenteren Meinungsbildungsprozess in Teams, der transparenter ist.
Heute ist der 29.11.2023. Das gedankliche Modell ist nun ca. 5 h jung, und im heutigen Austausch hatte ich mit fast allen Teammitgliedern der Contio die Chance, mich zu diesem Konzept auszutauschen. Ich habe einigen drauf geeinigt und es an einige verkündet, dass wir dieses Gedankenmodell nun für genau einen Monat, also 3 Arbeitswochen, im Team Contio ausprobieren und unsere Erfahrungen dann mit unserer Agile Circle und auf LinkedIn Community teilen.
Reminiszenz
Falls ihr nun das Gefühl habt: Das Modell hat Einflüsse vom Modell Situational Leadership. Es Spuren von Delegation-Poker-Ansatz von Appelo in sich trägt oder Rumsfeld's Unknowns erinnert, dann da dies die Gedankenwelt ist, der wir uns verbunden fühlen.
[1] In diesem Kontext ist das Folgen der Meinung des Individuums gemeint
[2] Siehe auch Self-Determination Theory, nach Deci und Ryan
[3] Hier von mir definiert als Gruppen von Menschen, die sich in der Selbstverpflichtung agiler Werte und Prinzipien